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Lehrling oder Azubi? |
ein Beitrag von Hans-Dietrich Zeuschner
Zur Diskussion gestellt: Mit Erstaunen muss ich immer wieder feststellen, dass sich Ausbildungsexperten, Politiker, Funktionäre, Journalisten, selbst Ausbildende, Ausbilder und BBS-Lehrer einer antiquierten, zudem nicht gesetzeskonformen Terminologie bedienen. Durch ein derartiges
Verhalten wird m.E. dem Ruf einer modernen Berufsausbildung
im Dualen System
und dem Ansehen der jungen Menschen, die eben keine
Lehrlinge mehr sind, sondern einen Berufsausbildungsvertrag
abgeschlossen haben,
geschadet. Welche(r) Jugendliche
sucht heute noch eine Lehrstelle
oder sagt von sich selber, er/sie ginge in die Lehre? Als Auszubildende(r)
oder kurz Azubi,
dürfen sich nicht nur
die bei der IHK eingetragenen sondern auch diejenigen des Handwerks
bezeichnen, denn jede(r) hat einen Berufsausbildungsvertrag
nach §§ 3, 4 Berufsbildungsgesetz (BBiG)
abgeschlossen. Wer bietet heute noch eine photographische Kamera oder einen Eisschrank zum Verkauf an? Wer bucht einen Urlaub mit dem Aeroplan? Wer duscht mit flüssiger Seife oder schabt sich den Bart? Wohl niemand, oder? Aber Lehrlinge werden von Lehrherren gesucht, Lehrstellen angeboten, von Lehrjahren ist die Rede, um die Höhe des Lehrgeldes wird gestritten. Und dabei ist der Kernbegriff Lehre bereits vor über drei Jahrzehnten aus dem allgemeinen Sprachgebrauch gestrichen worden! Das Berufsbildungsgesetz (BBiG) ist die gesetzliche Grundlage für alle anerkannten Ausbildungsverhältnisse. Es ist seit dem 14.August 1969 in Kraft. Der Begriff Lehre wurde seinerzeit durch den Terminus Berufsausbildung ohne Ausnahme ersetzt. Seither schließt ein Jugendlicher mit dem zukünftigen Ausbildenden einen Berufsausbildungsvertrag ab, geht damit ein Berufsausbildungsverhältnis ein und bezieht zukünftig eine Ausbildungsvergütung. Lediglich in der allerdings dem BBiG nachgeordneten Handwerksordnung ist (als einzige Ausnahme) stets vom Lehrling (Auszubildender) die Rede. Die übrigen von Lehre abgeleiteten Wortverbindungen sind auch hier durch Verknüpfungen mit dem Begriff Ausbildung ersetzt worden. Vor über dreißig Jahren hat der Gesetzgeber nicht nur die Begriffe ausgetauscht, sondern es wurde ganz bewusst und gezielt mit der Lehre im traditionellen Sinne gebrochen, wie § 2 Absatz 2 BBiG deutlich ausweist: „Die
Berufsbildung hat eine breit angelegte berufliche Grundbildung und die
für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit notwendigen
fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse in einem geordneten Ausbildungsgang
zu vermitteln. Sie hat ferner den Erwerb der erforderlichen
Berufserfahrung zu ermöglichen.“ Am Ende des achten Jahrzehnts des vorigen Jahrhunderts ist damit begonnen worden, die Berufe neu zu ordnen. Die Entwicklung ist heute weit vorangeschritten. Nach dem Willen der modernen Ausbildungsordnungen für die Betriebe und der zeitgemäßen KMK-Rahmenlehrpläne/Rahmenrichtlinien für die Berufsschulen gilt als übergeordnetes Prinzip:
„Die
Auszubildenden
sollen ihre Arbeit selbständig planen, realisieren, kontrollieren und
bewerten.“ Das hat nun wirklich
nichts mehr mit der traditionellen Lehre zu tun. Wer dennoch sich der
antiquierte Terminologie bedient, diskreditiert
bewusst die Berufsausbildung
im Dualen System und muss sich
Ideologiekritik gefallen lassen z.B. im Sinne von Ernst Topitsch: Enthält
das Material unwahre, halbwahre oder unvollständige Gedankengebilde, die
sich auf soziale Sachverhalte beziehen und auf eine Befangenheit ihrer
Träger zurückzuführen sind, welche durch deren gesellschaftliche
Situation verursacht ist. P. S.: Es geht auch
anders: Wo spricht man heute noch von
Hilfsschülern, Volksschülern, Mittelschülern, Oberschülern,
Ingenieurschülern ?
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Anmerkung: Herr Zeuschner stellt diesen Beitrag, übrigens wie alle seine Beiträge, ausdrücklich zur Diskussion. Antworten sie mir oder auch Herrn Zeuschner. Wenn Sie aber dabei nicht veröffentlicht werden wollen, so teilen Sie es bitte mit. Wiesinger
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1. Diskussionsbeitrag von Herrn Wieting vom 12.03.02: Hallo Hans, Worte sind doch Schall und Rauch, oder ? Ich glaube nicht, dass allein durch die Bezeichnung die Beziehung zwischen Lehrherren und Azubi (<-- oder umgekehrt-) bestimmt wird, sondern durch moralische und menschliche Werte, die den Betreffenden entweder rechtzeitig vermittelt worden sind, oder eben nicht. Für mich als Ausbilder und Berufsschullehrer ergibt sich daraus die Konsequenz, dass ich den Lehrlingen ggf. bei der Suche nach einer neuen Ausbildungsstelle behilflich bin. Mit freundlichen Grüßen, P. Wieting aus Hamburg. E-Mail: wieting@gmx.de |
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Antwort auf den oberen Diskussionsbeitrag vom 14.03.02: Vielen Dank, P. Wieting in Hamburg, für die (leider erst) erste Reaktion auf meinen Diskussionsbeitrag! Wohl wahr, Worte sind Schall und Rauch, nur, damit sind Aussagen, Sprüche, ggf. Versprechungen gemeint und nicht Namen. Ein Beispiel zur Erklärung: Kein Automobil-Kenner würde auf die Idee kommen, einen "Mondeo" nach seinem Vorgängermodell mit "Sierra" geschweige denn mit "Taunus" zu bezeichnen, obwohl das jeweils nachfolgende Modell, verglichen mit seinem Vorgänger, durchaus Ähnlichkeiten evtl. partielle Identitäten aufweist. Die "Berufsausbildung" SOLL sich nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) von 1969 sowie nach der Neuordnung z.B. in den Metall- und Elektroberufen von Ende der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts (wie in meinem Diskussionsbeitrag beschrieben) grundlegend von der traditionellen "Lehre" unterscheiden. Deshalb plädiere ich für die Verwendung des neuen (inzwischen alten!) Namens. Wie es mit der Verwirklichung des Anspruchs aussieht, steht auf einem anderen Blatt. Ich würde mich freuen, von Auszubildenden, Ausbildern und Ausbildenden in Handwerk und Industrie über das IST nähere Einzelheiten zu erfahren. In diesem Sinne, Hans-Dietrich Zeuschner |
bearbeitet am: 19.02.15